Das iPad – eine kleine Ironie
Die Geschichte beginnt mit einer Zugfahrt durch den Regen, am Freitagmorgen des iPad-Verkaufsstarts in Deutschland. Auf Twitter sehe ich Fotos von Menschen, die unter Regenschirmen geduldig vor dem Apple-Store in Frankfurt warten.
Mein iPad wartet schon auf mich, 200 Meter weiter in einem großen Elektronikgeschäft. Dort daddeln nur ein halbes Dutzend Schulschwänzer an den Ausstellungsgeräten. Von Schlangestehen kann hier keine Rede sein, das iPad macht hier eher den Eindruck eines Ladenhüters.
Als ich das iPad auspacke, weht ein Hauch von IT-Geschichte durch den Raum (Szene: wieder Zug, auf dem Rückweg). Das Gerät lässt sich das allerdings nicht anmerken, und verweigert ganz dümmlich zunächst die Einrichtung über iTunes. Ach so, ohne Internetverbindung geht ja nichts. Eine Micro-SIM für das mobile Internet habe ich noch nicht. Ich fühle mich wie der Mensch in der Höhle, der ohne Licht im Dunkeln sitzt. Wie die Welt draußen aussieht, erahne ich noch nicht einmal. Selbstverschuldete Unmündigkeit macht sich in mir breit.
Später zuhause, das WLAN hat mein iPad zum Leben erweckt, trete ich aus der Höhle. Doch es ist nicht die Sonne, die mich blendet. Das iPad hat einfach ein krass helles Display.
Im Internet durchstöbere ich iPad-Berichte, besser gesagt werde ich fast von ihnen erschlagen. Die ganze Welt kennt nur noch ein Thema, so scheint es. Mein Wissensschatz wird erweitert um so großartiges Wissen wie: Vierfaches Tippen markiert einen ganzen Absatz. Bloß nicht versehentlich fünfmal tappsen, nehme ich mir vor.
Beim Mailschreiben versuche ich das iPad erst mal in den Händen zu halten. Schwerer Fehler. Mir war nicht klar, wie schnell 700 Gramm zu einem schwer-wiegenden Problem werden. Meine Hände fangen an zu krampfen während ich versuche, gleichzeitig zu halten und zu tippen. Nun gut. Dann eben doch auf dem Schoß. Ich fange an, mit den Fingern auf den Schenkeln zu arbeiten. Ich fühle mich unsittlich.
ich wage mich an meine Beschneidung
Später am Abend. Ich wage mich an meine Beschneidung. Eigentlich muss ja nur meine Handykarte dran glauben. Meine Angst ist allerdings so groß, als rückte ich meinem eigenen besten Stück zuleibe. Ich habe drei verschiedene Berichte und ein Youtube-Video konsumiert. Alle versichern, das Umschneiden der Handykarte auf das kleine Form sei gaaaar kein Problem. Statt einem Beil (wie in einem Bericht empfohlen) nehme ich vorsichtshalber ein altes Teppichmesser aus dem Werkzeugkoffer. Schweißperlen tropfen zu Boden.
Zehn Minuten später passt die Handykarte tatsächlich in Apples Micro-SIM-Slot. Mein Herz rast. Und natürlich geht das waghalsige Unterfangen schief. Zumindest passt das dämliche Teil erst einmal nicht mehr ins iPad. Ich fluche, schiebe, zerre. Dann: geschafft. Und tatsächlich, die Handykarte nimmt ihren Betrieb auf, wie versprochen. Ich bin wieder mobil. Ich lebe noch.
Die nächsten Tage verbringe ich im Konsumrausch. Apps installieren, Videos konvertieren, Musik einspielen, alte Fotos ansehen. Sogar eine Anwendung für das Erstellen von Keynote-Präsentationen kann ich kaufen. Es ist großartig. Ich sehe großzügig darüber hinweg, dass beim ersten Import einer Präsentation meine Lieblingsschriftart in schnödes Arial umgewandelt wird. Weil Apple dem iPad nur wenige Schriften mitgibt und andere noch nicht mal nachinstalliert werden können. Wirklich, großartig.
Ich mutiere zum Krüppel
Nur diese gebückte Haltung, der ständig zum Schoß gebeugte Kopf. Ich mutiere über die Stunden zum Krüppel. Ich fange an zu überlegen, ob eine Batterielaufzeit von neun Stunden vielleicht doch keine Errungenschaft ist. Auf dem Sofa erfinde ich merkwürdige Sitzhaltungen, damit mein Schoß und damit das iPad dem Kopf wieder etwas näher kommen kann. Vergebliche Mühe, die nur Krämpfe in den Beinen beschert.
Unterwegs die nächsten Probleme. Ich errege Aufsehen. Die Menschen begaffen mich, als käme ich vom Mond. Dabei kommt das iPad doch nur aus China. Mich beschleicht ein Gefühl von Distanz, ich fühle mich aussätzig. Doch ich halte an meinem iPad fest. Sollen die anderen doch auch kaufen, für horrendes Geld einen Computer ohne Tastatur.
„Schon cool“
Nach einer Woche tippe ich nun – wieder im Zug – auf dem iPad meine Geschichte. Und musste mich erst mal selbst fragen, warum es auf dem iPad eigentlich kein Schreibprogramm gibt. Während ich schreibe, beginnt ein junger Bundeswehrsoldat, mich über das Gerät auszufragen. Ich erzähle bereitwillig die immer gleichen Details. „Schon cool“, sagt er. Er wolle vielleicht auch so eines. Den Preis findet er „gar nicht so schlimm“. Die Bundeswehr muss den Sold erhöht haben, denke ich.
Am Bahnhof vor der Abfahrt habe ich mir ein Buch gekauft. Für 14,95 Euro. Ob es das wohl auch als eBook auf dem iPad gibt, fährt es mir an der Kasse in den Kopf. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob der Autor des Buches „Das klare Einmaleins des Denkens“ damit einverstanden wäre. Womöglich sähe er einen Widerspruch zwischen seinem Buchtitel und der Tatsache, wie viel Apple an den Verkäufen mitverdienen will.
Blogge ich also noch schnell und will mich zum ersten Mal seit einer Woche dem gedruckten Papier widmen. Aber verflucht. Wie bekomme ich eigentlich ein Foto hochgeladen, wo das Ding doch keine Festplatte hat? In mir reift ein kleiner iFluch. Und der Beitrag bleibt ohne Bild. Bis ich zuhause am Rechner bin.
03.06.2010 | von | Noch keine Kommentare
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